Intendanzfindung
Konferenz RETHINKING THEATERLEITUNG
13.-15.1.2023, Bundesakademie für Kulturelle Bildung Wolfenbüttel
Mit der Bundesakademie und vielen weiteren Partnern hat das d-n eine Konferenz für die gemeinsame Arbeit an immer besseren Intendanzfindungen entwickelt. Für die Entscheider*innen außerhalb der Theater und die Mitarbeitenden und Aktivist*innen innerhalb.
Im direkten, produktiven Austausch lernen alle Teilnehmenden voneinander und kreieren konkrete Anregungen für kommende Intendanzfindungsprozesse. Die Vorarbeit des d-n, des Bühnenvereins und von anderen wird angereichert durch Impulsvorträge, etwa zur historischen Genese des Intendanzmodells, zur Rolle der Kulturpolitik, zu Leitungsmodellen und Leitungsrealitäten, zukunftsweisenden Organisationsformen, diversitätsorientierten Partizipationsmodellen und zeitgemäßen Besetzungen von Findungskommissionen.
Vor allem aber in der gemeinsamen inhaltlichen Arbeit fließen die vielfältigen Perspektiven der Anwesenden auf das Thema zusammen. So entsteht nicht nur ein vertieftes Verständnis der unterschiedlichen Einzel-Interessen und von Fragestellungen, die berücksichtigt werden sollten; es wird eine Gesamtschau der komplexen Schlüsselaufgabe Intendanzfindung möglich. Hierzu bedienen wir uns der g³-Methode, die uns spielerisch und produktiv gemeinsam individuelle Lösungsansätze entwickeln lässt.
Mehr Info und Anmeldung hier: https://www.bundesakademie.de/programm/details/kurs/dk23-02/
Das volle Programm: https://www.bundesakademie.de/fileadmin/Bilder/Seminare/dk/dk23-02.pdf
Eine Konferenz der Bundesakademie für Kulturelle Bildung, des dramaturgie-netzwerks und des ensemble-netzwerks in Kooperation mit dem Deutschen Bühnenverein, der Kulturpolitischen Gesellschaft, FAIRSTAGE, der GDBA und der dramaturgischen gesellschaft. Mit freundlicher Unterstützung des Deutschen Städtetages.
Hintergrund und HANDREICHUNG
Zwei Jahre lang hat eine achtköpfige Arbeitsgruppe „Intendanzfindung“ des d-n über Auswahlverfahren, Ausschreibungskriterien, Leitungsstrukturen und Beteiligungsverfahren diskutiert, untereinander und mit Kulturpolitiker:innen, Intendant:innen, Expert:innen für Diversity und Theatermanagement.
Seit Mai 2022 ist sie nun da: eine Handreichung zur Intendanzfindung an Theatern.
Ihr findet sie hinter dem passenden Bild ganz oben auf der Seite oder unter https://ensemble-netzwerk.de/content/uploads/ensemble-netzwerk-dramanetzhandreichung20220612v4.pdf
Damit wollen wir uns als Theaterschaffende einmischen in die vermutlich wichtigsten Prozesse überhaupt, die es am Theater gibt: die Entwicklung von passenden Strukturen, die Findung von passenden Leitungen. Wir möchten mitreden, wenn darüber entschieden wird, wer uns künftig „leiten“ soll.
Die Handreichung richtet sich an Entscheidungsträger:innen und gibt einen Überblick über die einzelnen Schritte des Findungsprozesses, vor allem aber Anregungen für Strukturveränderungen und mehr Mitbestimmung, Multiperspektivität und Transparenz. Sie will nicht belehren, sondern Impulse geben, wir suchen den Dialog und bieten uns an als Gesprächspartner:innen während der Entwicklung von Ausschreibungen und während des weiteren Findungsprozesses.
Neben unserer eigenen Handreichung haben wir gemeinsam mit der Intendant*innengruppe des Deutschen Bühnenvereins das so genannte „Phasenmodell“ entwickelt. Es wurde im Sommer 2022 der neuen Rechtsträger*innen-Gruppe des Bühnenvereins übergeben.
Also: Wann immer Ihr von anstehenden Intendanzsuchen hört, meldet Euch, dann können wir versuchen, uns mit Hilfe der Handreichung einzumischen – oder wenn ihr das selbst tun möchtet und Beratung braucht.
Also, lasst uns gemeinsam das Theater besser machen!
Die Mitwirkenden der AG Intendanzfindung: Daniela Brendel, Andra Born, Daniel Grünauer, Sascha Kölzow, Nicole Schneiderbauer, Marie Senf, Christian Schönfelder und Markus Steinwender
Handreichung zur anstehenden Intendanz-Suche
Stand: 05.05.2022
Arbeitsgruppe Intendanzfindung (Daniela Brendel, Andra Born, Daniel Grünauer, Sascha Kölzow, Nicole Schneiderbauer, Marie Senf, Christian Schönfelder, Markus Steinwender)
MOTIVATION DER HANDREICHUNG
* Diese Handreichung wurde von einer Arbeitsgruppe des dramaturgie-netzwerks (d-n) erarbeitet. AG und Netzwerk sind Teil des ensemble-netzwerks (e-n), das sich seit 2016 für die Verbesserung der Arbeitsbedingungen von Theaterschaffenden und für Theaterstrukturreformen einsetzt, um das Theater „besser” zu machen. Besser im Sinne von gerechter, resilienter, mit attraktivem Arbeitsklima, motivierten, fair bezahlten Mitarbeiter:innen und breiter gesellschaftlicher Akzeptanz.
* Zwei Jahre lang hat eine achtköpfige Arbeitsgruppe mit Kulturpolitiker:innen, Intendant:innen, Expert:innen für Diversity, Theatermanagement und Beteiligungsverfahren über Auswahlprozesse, Ausschreibungskriterien, Leitungsstrukturen und Beteiligungsverfahren diskutiert – und darüber, wie Veränderungen zukunftsfähige Transformationen des Betriebes ermöglichen, Theaterkrisen als Folge von „toxic leadership“, Diskriminierung und Machtmissbrauch vermeiden und echte Aufbruchstimmung in den Theatern erzeugen können.
* Das Ergebnis ist diese Handreichung. Sie gibt einen ersten Überblick über die einzelnen Schritte des Findungsprozesses und Impulse zu möglichen Veränderungen. Wir nehmen nicht in Anspruch, den einen Weg aufzuzeigen, schon deshalb nicht, weil jede Institution, jede Stadt andere Bedürfnisse hat. Wir möchten Anregungen geben, suchen den Dialog und bieten uns an als Gesprächspartner:innen während der Entwicklung von Ausschreibungen und während des Findungsprozesses. Über diese Handreichung hinaus bieten wir Ihnen vertiefende Materialien zum Prozess als Ganzem oder einzelnen Punkten, Beratung und weiteren Austausch sowie die Vermittlung von Expertise, z.B. in den Bereichen Partizipation und Prozessdesign, Diversity an. Wir freuen uns auf den Austausch mit Ihnen!
* Parallel arbeiten wir gemeinsam mit Vertreter:innen der „Intendantengruppe des Deutschen Bühnenvereins“ an einem weiteren Papier, das auf der Grundlage unserer Handreichung die Abläufe eines Findungsprozesses pointiert auflistet.
CHANCEN EINER INTENDANZ-NEUBESETZUNG
* Ein Stadt-, Staats- oder Landestheater ist nicht nur ein Ort, an dem Kunst produziert wird, sondern auch ein Betrieb mit vielen Mitarbeiter:innen. Es ist relevant, wie Kunst produziert wird. Nur ein Theater, das lebt, was auf der Bühne gepredigt wird, kann dies glaubwürdig und sichtbar tun.
* Theater, die ihren Mitarbeiter:innen Teilhabe, Mündigkeit und Entwicklung ermöglichen, können im vollumfänglichen Sinne „Erfahrungsräume der Demokratie“ sein. Betriebe, die selbst partizipative Strukturen im Inneren leben, können das auch in Bezug auf die Stadtgesellschaft sein.
* Den Leitungsstrukturen und -personen kommt hierbei eine entscheidende Aufgabe zu. Gerade politische Entscheidungsträger:innen stehen vor der äußerst komplexen Aufgabe, durch die Auswahl dieser Position(en) und der Definition der Strukturen, in denen diese agieren werden, den Grundstein für erfolgreiche und gesellschaftlich relevante Theaterarbeit für die nächsten Jahre zu legen.
* Im Folgenden möchten wir die wichtigsten Punkte einer möglichen Reform des Intendanz-findungsprozesses hervorheben, auf die die meisten der Vorschläge abzielen:
– (nicht-künstlerische) Qualifikationen/verbindliche Auswahlkriterien
– Transparenz
– Partizipation/ multidimensionale Expertise
? Gerade der Punkt Partizipation (im Sinne von „Menschen sollten an Entscheidungen beteiligt werden, wenn sie von diesen Entscheidungen betroffen sind“) ist für uns essentiell und wird immer häufiger in der Praxis umgesetzt. Wir schlagen vor, mindestens eine Vorstufe von Partizipation einzuplanen und diesen Prozess für Ihre Zwecke maßgeschneidert entwerfen und entwickeln zu lassen. Gleiches gilt für Diversität. Wenn diese angestrebt wird, empfiehlt es sich, Expert:innen bereits in das Prozessdesign einzubinden, um z.B. eine diversitätssensible Ausschreibung sicherzustellen
WICHTIGE FRAGEN – Definitionsphase:
1. Status Quo formulieren: Was für ein Theater haben wir?
2. Vision entwickeln: Was für ein Theater wollen wir? Welche Infrastrukturen zur Implemntierung von Antidiskriminierung sowie Macht- und Hierarchiekritik soll das Theater haben? (Gleichstellungsbeauftragte, Diversitätsbeauftragte, Budget für Diversitätsorientierte und Machtkritische Organisationsentwicklung, etc.) Was wird strukturell und künstlerisch angestrebt – Was ist die Vision?
3. Suchprofil erstellen: Mit wem soll diese Vision verwirklicht werden? Wen suchen wir dafür? Welche Leitungsstrukturen braucht es? Welche (vor allem nicht-künstlerischen) Qualifikationen sind unabdingbar?
4. Akteur:innen klären: Wer soll an der Findung beteiligt sein und auf welche Weise?
? Die Beteiligung verschiedener Akteur:innen und Expertisen aus Theater und Stadtgesellschaft ist für die Erarbeitung des Profils unabdingbar.
Dies hat Vorteile:
* vielfältige Expertise (Theaterschaffende, Zuschauer:innen, Netzwerke, Kulturmanager:innen)
* Transparenz statt Entscheidungen in Hinterzimmern
* Legitimation der Besetzungsentscheidung nach innen (Mitarbeiter:innen) und außen (Stadtgesellschaft)
WICHTIGE ENTSCHEIDUNGEN – Planungsphase:
1. Zusammenstellung Berater:innengremium / Findungskommission
„Findungskommissionen können sinnvoll sein. Aber sie nützen gar nichts, wenn sie so besetzt sind, dass sich dieselben Leute immer wieder gegenseitig in Funktionen bringen.“
Klaus Lederer, Bürgermeister und Senator für Kultur und Europa in Berlin 12.5.2021
Eine Findungskommission sollte vielfältige Expertisen abdecken, nicht nur künstlerische. Es braucht mehr als künstlerische Fähigkeiten und Reputation, um den vielfältigen Anforderungen einer Theaterleitung – ein Betrieb mit oft 300 und mehr Mitarbeiter:innen – gerecht zu werden. Dies bedeutet, das Bild von Theaterleitung zu überprüfen: Soll die Leitungsperson die oberste künstlerische Instanz sein oder diejenige, die künstlerische Arbeit anderer ermöglicht?
Zu einer Findungskommission sollten idealerweise gehören:
* ein:e Intendant:in eines vergleichbaren Hauses
* jeweils ein:e gewählte:r Mitarbeiter:in (künstlerisch und nicht-künstlerisch) aus dem Haus
* Vertreter:innen der Betriebs- oder Personalräte
* Vertreter:innen der Stadtgesellschaft (z.B. Zuschauer:innenrat, Förderverein)
* ein:e Vertreter:in einer Organisation mit überregionaler Expertise (z.B. ensemble-netzwerk, Art but Fair, Genossenschaft Deutscher Bühnen-Angehöriger usw.)
* Expert:innnen für Diversity und Gleichstellung
? Es sollte darauf geachtet werden, dass die Kommission insgesamt Mindeststandards an gesellschaftlicher Vielfalt abdeckt.
Die Aufgaben einer Findungskommission sind u.a.:
* Mitformulierung der Ausschreibung
* Sichtung der eingehenden Bewerbungen mit Auswahl der zu einem Bewerbungsgespräch einzuladenden Kandidat:innen
* Führung der Bewerbungsgespräche
* Vorschlag mehrerer Kandidat:innen/Teams für eine Finalrunde zur Entscheidung durch das je nach Trägerschaft unterschiedliche Gremium wie Stadtrat, Zweckverband, etc.
2. Formulierung der Ausschreibung und Festlegung der Entscheidungsbefugten und -beteiligten
* Definieren der Anforderungen ausgehend vom angestrebten Profil des Theaters
* Klärung, wer über die Besetzung der zukünftigen Leitung entscheidet und wer in beratender Funktion am Findungsprozess beteiligt ist
* Öffentliche Bekanntgabe der Beteiligten der Findungskommission im Sinne von Transparenz und Legitimierung
? Die Anforderungen an eine Theaterleitung sind inzwischen so vielfältig, dass sie kaum von einer Einzelperson abgedeckt werden können. Teamleitungen sind in der Regel multiperspektivisch und können ein größeres Spektrum an Expertisen abbilden. Strukturierte, kollektive Entscheidungsfindungen im Team sind bspw. ein wichtiger Faktor zur Verhinderung von Machtmissbrauch.
3. Erarbeitung von Unterlagen, die Bewerbenden in der engeren Auswahl zugänglich gemacht werden sollten, um eine zielgerichtete Vorbereitung zu ermöglichen
* Bilanzen
* Budgets
* Stellenplan
* Spielpläne der letzten Jahre
* Liste mit wichtigen Inhalten, die im Rahmen des Gesprächs behandelt werden und bei denen man sich eine Antwort/Stellungnahme erwartet
4. Kriterienerstellung anhand des erarbeiteten Profils zur Auswertung der Bewerbungen
WICHTIGE SCHRITTE – Realisierungsphase
1. Veröffentlichung der Ausschreibung
? Hier sollte darauf geachtet werden, über welche Wege potentielle Kandidat:innen angesprochen werden. Wenn beispielsweise eine Diversifizierung der Leitung angestrebt wird, sollte darauf geachtet werden, die Ausschreibung entsprechend zu formulieren, um die passenden Kandidat:innen anzusprechen.
2. Treffen der Findungskommission zur Definition der Verfahrensweise
* Kriterienerstellung anhand des erarbeiteten Profils für die Auswertung der eingehenden Bewerbungen
* Verfahrensschritte und -weisen klären und kommunizieren (z.B. Einladungspolitik)
* Gibt es unterschiedliche Stimmrechte?
* Wird mit einem Punktesystem gearbeitet? Wenn ja, wie wird die Gewichtung begründet? (Reflexion der eigenen Priorisierung)
* Definition einer:s Moderator:in in der Findungskommission.
(Wichtig: Welche Kompetenzen sollte diese Person haben? Wenn die Runde divers sein soll, sollte es z.B. jemand sein der/die divers und intersektional arbeitet.)
* Fragenkatalog vorbereiten
3. Auswertung der Bewerbungen und Auswahl der Einzuladenden
* Alle Mitglieder der Findungskommission sollten alle Bewerbungen sichten
* Diskussion über die einzuladenden Bewerbenden
* Einigung auf eine Auswahl zur Einladung
? Laden Sie bei entsprechender Bewerbungslage mindestens zwei Team-Bewerbungen ein, um Vergleichsmöglichkeiten zu haben.
4. Durchführung der Bewerbungsgespräche
* Genügend Zeit einplanen für die Gespräche und Diskussion
* Jedes Mitglied der Findungskommission muss die Möglichkeit haben, Fragen zu stellen.
* Themenkomplexe:
– Motivation (Theaterform, warum dieses Theater?)
– Künstlerische Inhalte und Visionen (Regiepositionen und Künstler:innen)
– Leitungsverständnis (Teamstruktur, Rollenverteilung, Personalentwicklung)
? Erfahrungen und Kompetenzen: Hat die Person schon Weiterbildungen zu Leadership besucht? Kann die Person eigene Lernmomente benennen?
– Diversität und Inklusion (Diversitätsverständnis, Maßnahmen) Welche Erfahrungen mit der Umsetzung diskriminierungssensibler Maßnahmen gibt es schon? Differenziert nach einzelnen Diskriminierungsdimensionen fragen. Außerdem: Dimensionen Personal, Programm, Publikum abfragen, da Diversität meist an die Vermittlung „ausgelagert“ wird.
– Vermittlung (Kooperationen, Schule, Theaterpädagogik, Partizipation)
– Ambitionen/Erfahrungen im Bereich Digitalität / Digitalisierung
– Umgang mit bisheriger Belegschaft (Kommunikation von personeller Umstrukturierung)
5. Mehrstufiges Auswahlverfahren
? Als Teil einer zweiten oder finalen Auswahlrunde ist die Begegnung mit der Belegschaft wünschenswert. Dabei lässt sich feststellen, wie die Bewerber:innen gegenüber den Mitarbeitenden auftreten und umgekehrt, wie diese auf die Bewerber:innen reagieren.
6. Wahlvorgang
ZU GUTER LETZT – Abschlussphase
1. Festlegung der Übergangsbedingungen (z.B. bezüglich personeller Umstrukturierung, Nichtverlängerungen)
2. Vertragsgestaltung
3. Vorstellung gegenüber Mitarbeitenden
? Die Mitarbeitenden sollten nicht aus den Medien erfahren, wer die neue Intendanz ist.
4. Vorstellung gegenüber der Öffentlichkeit
IM NACHGANG – Evaluationsphase
* Schriftliche Dokumentation und Auswertung des Prozesses und der im Prozess gemachten Erfahrungen
* Lernprozesse für künftige Verfahren nutzbar machen
* Feedback von allen Beteiligten einholen und dokumentieren
* Abschlusstreffen