N-WORT STOPPEN
1. Februar 2021
Liebe Theaterschaffende, Liebe Ausbildungsstätten,
dieser offene Brief des BIPoC-Netzwerkes an Euch ist inspiriert worden von der schieren Ignoranz, mit welcher BIPoC am Theater konfrontiert werden. In den vergangenen Wochen sind uns vermehrt Berichte über die problematische Ver- wendung von Rhetorik und Begrifflichkeiten zugetragen worden, die als rassis- tisch eingestuft werden können und deren fortwährendes Auftreten uns zeigt, dass hier weiterhin verstärkter Aufklärungsbedarf besteht.
Als BIPoC-Netzwerk möchten wir hierzu Stellung beziehen.
Im Jahr 2021, nach vielen Aufklärungsbemühungen verschiedenster Seiten und nach den politischen Ereignissen der letzten Monate, möchten wir keine rassisti- sche Vulgärgewalt mehr in deutschsprachigen Theaterbetrieben und in den ent- sprechenden Lehrräumen finden.
Es wäre nicht nur ein angemessenes Zeichen unserer Zeit, sondern vor allem auch ein Zeichen des Respekts, diese Begrifflichkeiten – und auch andere rassisti- sche Praktiken – weder auf der Bühne noch in der Ausbildungspraxis zu verwen- den und stattdessen neue Begriffe und Praktiken des gegenseitigen Respekts, der Anerkennung und der Sensibilität für dieses wichtige Feld einzuüben und aufzuzeigen.
Mit diesem Brief beziehen wir uns spezifisch auf das N-Wort und fordern hiermit jeden Theaterbetrieb und jede Ausbildungsstätte dazu auf, konkret dieses ver- bindlich zu verbannen. Da wir jedoch keinen BIPoC absprechen wollen, das N- Wort als empowernendes Mittel zu verwenden, richtet sich diese Forderung ex- plizit an mehrheitlich weiße Kontexte bzw. Arbeitsverhältnisse, in welchen sich weiße Personen in einer Machtposition BIPoC gegenüber befinden.
Bei dieser Forderung werden wir von der Initiative N-Wort Stoppen unterstützt, welche erfolgreich und durchaus medienwirksam in verschiedenen Städten dafür gesorgt hat, dass das Wort geächtet und offiziell als rassistisch anerkannt wurde.
Das Argument der „Kunstfreiheit“, was häufig als Erklärung, manchmal auch als Verteidigung oder auch als Totschlagargument angebracht wird, ist unserer An- sicht nach in diesem Kontext nicht haltbar. Vor allem auch, weil es größtenteils von weißen Menschen angeführt wird, wenn Menschen mit einem nicht-weißen
Hintergrund kritisieren, was auf der Bühne passiert. Wir möchten an dieser Stelle noch einmal verdeutlichen, warum das N-Wort eine besondere Rolle spielt und Retraumatisierung hervorrufen kann:
Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt dazu, dass das N-Wort kein neutraler Begriff, sondern ein weißes Konzept ist (16.11.2020, Quelle: https:// www.bpb.de/ gesellschaft/migration/ afrikanische-diaspora/59448/das-n-wort? p=2).
Es entstammt einem kolonialen Kontext und ist untrennbar mit der Versklavung und gezielten Abwertung Schwarzer Menschen verbunden. Die dem Begriff inhä- renten ideologischen Vorstellungen wurden zu keiner Zeit dekonstruiert, weswe- gen es höchst rassistisch ist, Schwarze Menschen so zu bezeichnen.
In diesem Zuge möchten wir außerdem darauf aufmerksam machen, dass nicht wir es sind, die die weiße Kulturschaffenden auf derartige Zusammenhänge auf- merksam machen müssen, sondern dass eine selbstständige und tiefgreifende Auseinandersetzung mit diesem Thema und auch allen anderen Ismen unab- dingbar ist.
Wir möchten darauf aufmerksam machen, dass besonders in dieser aktuellen Kri- se, in welcher sich viele Kulturschaffende wünschen, als „systemrelevant“ zu gel- ten, ein großer Teil der Gesellschaft durch derartige Begrifflichkeiten von Kunst und Kultur ausgeschlossen wird. Derartige weiße Konzepte und Positionen im Theater zu reproduzieren (sei es auch aus einer kritischen Perspektive) sorgt für die fortwährende Retraumatisierung von BIPoC.
Auch in Bezug auf unser Publikum, auf unsere Theatergänger:innen müssen wir uns alle – Künstler*innen, Ausbildungsstätten und Institutionen – fragen: Wollen wir wirklich auf all die BIPoC-Kinder und -Zuschauenden verzichten, weil sich ein (privilegierter) Teil der Gesellschaft anmaßt, die Deutungshoheit darüber zu haben, welche marginalisierte Gruppe auf welche Weise dargestellt, sichtbar gemacht, thematisiert und kontextualisiert werden darf? Und somit das eigene Kunstver- ständnis weiterhin über die Expertise, den Erfahrungshintergrund und die Ver- mittlungskompetenz derer stellen, die betroffen sind und die gerade deshalb eine besondere Kreativität haben, wie Theater, Darstellung und auch Strukturre- form adäquat (neu) gestaltet werden können?
Wir sind überzeugt: Wenn wir an dieser Stelle nicht anfangen, bewusster und sensibler zu handeln – was schon im Ausbildungsprozess vermittelt und geübt werden kann und muss! – wenn wir nicht Ressourcen, Positionen und Funktionen
gerecht und ausbalanciert untereinander verteilen und auf diese Art anfangen, das Theater aufzubauen, das dieser Zeit und unserer diversen Gesellschaft ent- spricht, wenn wir das nicht schaffen, dann müssen wir uns nicht wundern, wenn unsere Arbeit für einen stetig größer werdenden Teil der Gesellschaft irrelevant wird. Besonderes Fingerspitzengefühl fordern wir vor allem von Dozierenden an Ausbildungsstätten. Unser Eindruck ist, dass hier die pädagogische Verantwor- tung nicht ausreichend angewendet wird und Studierende wie auch Schüler*in- nen (unreflektiert oder undiskutiert) angehalten werden, rassistische Vulgärge- walt auf die Bühne zu bringen.
Es ist dabei kein Weg, sich gewissermaßen eine Absolution von vereinzelten BI- PoC- Studierenden zu holen, die ein „OK“ geben. Es gibt immer explizite oder implizite Hierarchien zwischen Dozierenden und Studierenden und ein „OK“ kann in diesem Kontext zu oft davon beeinflusst sein. Außerdem kann mensch deuten, dass das Einholen dieses „OKs“ davon zeugt, dass der*die jeweilige Dozierende selbst Bedenken hat – und auf diesem Weg versucht, diese aufzulösen. Die Ver- antwortung darf in diesem Verhältnis nicht auf den*die einzelne*n Studierende*n abgewälzt werden. Studierende wollen bei ihren Dozierenden lernen und nicht als Expert*innen für deren Wissenslücken in Fragen des Umgangs mit Rassismen auf der Bühne herhalten.
Wir fordern: Bemühen Sie sich, an Ihren Theatern und Ausbildungsstätten um professionelle externe Expert:innen, welche Zusammenhänge erläutern können und in keinem Abhängigkeitsverhältnis zu Ihnen stehen.
Abschließend möchten wir sagen: Wir wollen nicht, dass das Thema Rassismus von den Bühnen verschwindet. Vielmehr wollen wir, dass eine konsequent anti- rassistische Behandlung der Thematik in die Praxis eingeht. Das schließt ein, dass BIPoC-Beteiligte sich nicht lediglich in Rollen wiederfinden, in welchen ihr BIPoC- Sein ausgestellt wird und dass Menschen mit BIPoC- Hintergrund selbstverständlich wie ihre weißen Kolleg:innen bezahlt werden, fair, auskömmlich und transparent. Wir wollen eine öffentlich zu machende Umgestaltung und eine konsequente Haltung gegenüber institutionellem Rassismus und das allgemeine Verständnis, dass Rassismus nicht unabhängig von Klassismus gedacht werden kann. In diesem Sinne fordern wir ein soziales Umdenken. Ein Beginn für diesen Wandel kann z.B. ein regelmäßiges und niedrigschwelliges Angebot von Antirassismus-Workshops sein.
Wie das ensemble-netzwerk seit bereits fünf Jahren sagt und das ganz im Sinne der Theaterreform: YOU ARE NOT ALONE. Lasst uns das Theater gemeinsam zu einem Ort machen, der allen zugänglich ist.
Wir stehen als BIPoC-Netzwerk für Beratung und Hilfestellung in diesen Fragen gerne zur Verfügung.
Erreichbar sind wir unter: bipoc@ensemble-netzwerk.de Alles Gute und stay safe,
Das BIPoC-Netzwerk (in Kooperation mit N-Wort Stoppen)